
Wenn dich das Bloggen unter Druck setzt.
Es brodelt gerade in der Blogosphäre. Blogger machen sich in wütenden, frustrierten Beiträgen Luft, kommentieren angeekelt die derzeitige Entwicklung beim Bloggen – nur um festzustellen, dass sie auch selber dazu beigetragen haben.
Gerade in den letzten Tagen kreisen so viele Beiträge um dieses Thema, dass ich es hier nicht unkommentiert lassen möchte.
Rückblende: wie ist die Blogosphäre zu dem geworden, was sie ist?
Als ich mit dem Bloggen begonnen habe – was tatsächlich schon rund zehn Jahre her ist – war das ein seltenes und nerdiges Hobby. Eines, bei dem 99% der Nicht-Blogger nicht wussten, was das eigentlich ist. Irgendwas in diesem Internet halt.
Die meisten Blogs waren privater Natur, ein bisschen Tagebuch hier, ein paar Fotos da.
Heute ist die Blogosphäre längst den Kinderschuhen entwachsen und hat sich als ein ernstzunehmendes Medium etabliert, das durch die immense Anzahl von Bloggern unglaublich facettenreich ist. Kaum ein Thema, zu dem es nicht mindestens ein Dutzend Blogs gibt.
Der klassische Journalismus kann es sich schon lange nicht mehr leisten, Blogger zu belächeln – dafür gibt es zu viele hochqualitative, fundiert recherchierte und stilistisch sicher geschriebene Blogs. Folgerichtig haben etliche Zeitungen ihre eigenen Blogs an den Start gebracht, ebenso wie die meisten Unternehmen mittlerweile über Corporate Blogs kommunizieren. Daneben existieren unzählige private Blogs.
Wohl jeder, der sich im Internet bewegt, liest Blogs – sei es, weil er beim Googeln nach einem bestimmten Thema auf einen Blogartikel stößt; sei es, wenn er einen Blog gezielt abonniert.
Die Anzahl der aktiven Blogger beläuft sich allein in Deutschland mittlerweile auf mehrere Hunderttausend.
Das bringt natürlich verschiedene Trends mit sich:
Die Lage der Nation Blogosphäre
1. Konkurrenz der Blogger untereinander
Auch wenn in der Blogosphäre generell eine friedliche und hilfsbereite Atmosphäre herrscht – der Konkurrenzgedanke lässt sich nicht leugnen.
Niemand will in dieser schier unendlichen Masse an Blogs einfach untergehen. Wer sagt, dass es ihm egal sei, ob sein Blog gelesen wird oder nicht, macht sich etwas vor. Wir alle linsen auf die Klicks und Kommentarzahlen, zumindest ab und an.
Und wenn durch das eigene Blog nur der berühmte Heupuschel rollt, während in der Nachbarschaft die Followerzahlen explodieren, dann stellen sich Neid und Missgunst ein.
Ein Thema, das stark mit dem zweiten Trend zusammenhängt:
2. Do it for the money: Monetarisierung der Blogs
Längst haben Firmen die Reichweite und den Einfluss von Blogs erkannt… und Blogger haben festgestellt, dass man unter Umständen tatsächlich dieses Hobby zum Beruf machen und davon leben kann. Entweder, indem man über das Blog eigene Dienstleistungen verkauft (beispielsweise Coaching für andere Blogger), oder indem man von Firmen gesponsert wird.
Kooperationen zwischen Bloggern und Unternehmen bzw. Agenturen sind an der Tagesordnung.
Der Deal ist: der Blogger stellt ein bestimmtes Produkt vor, dafür fließt Geld und / oder er erhält das Produkt umsonst. In kleinerem Ausmaß dürfte das mittlerweile fast jeder Blogger schon einmal gemacht haben.
Hierzu werden natürlich nicht Hinz und Kunz angeschrieben, sondern im Interesse der Unternehmen gerade bei hochwertigeren Produkten nur möglichst bekannte Blogs mit einer großen Reichweite. Je berühmter der Blog, desto lukrativer die Kooperationen.
Das wiederum befeuert natürlich das besagte Konkurrenzdenken – gerade, wenn man mit dem Blog seinen Lebensunterhalt bestreiten will.
3. Bloggen findet nicht mehr nur auf dem Blog statt
Stichwort Social Media: es reicht nicht mehr, einfach nur einen Blog zu haben. Ohne Accounts auf Instagram, Twitter, facebook, Pinterest und Konsorten kommt heute kaum noch ein Blogger aus.
Zwischen den einzelnen Blogeinträgen wollen die Leser mit Schnappschüssen und Statusmeldungen versorgt werden, damit sie dich nicht vergessen. Wenn du nicht stattfindest, existiert du nicht.
Überspitzt formuliert: wer Instagram aufruft und kein Bild von dir angezeigt bekommt, klickt eben das eines anderen Bloggers an – Chance vertan.
Auch Firmen schielen längst nicht mehr nur auf die reine Blogstatistik, sondern auch auf die Anzahl der Follower auf den diversen Plattformen (was einige Blogger anscheinend sogar dazu verleitet, sich Follower zu kaufen. Urgh.).
4. It’s got to be perfect: zunehmende Professionalisierung
Wie gesagt – es gibt eine unglaubliche Masse an Blogs, und wer nicht untergehen will, versucht hauptsächlich durch Qualität herauszuragen.
Bessere Fotos. Optimierte Beiräge. Hand hoch, wer noch keinen Artikel à la „Wie du bessere Überschriften schreibst“ gelesen hat.
Blogkurse boomen. Ein beachtlicher Teil der Blogger pruselt eben nicht mehr nur einfach so vor sich hin, sondern selbst in den Bereichen der eher privaten Blogs, die zwar vielleicht ab und an mal eine Kooperation eingehen, aber grundsätzlich eher persönlich gehalten sind, wächst die Qualität rasant.
Responsive Webdesign? Check. Redaktionsplan? Check. Marketing-Strategie? Check. Spiegelreflex? Check. Und so weiter.
Oft vereinen Blogger ganze Berufszweige und Abteilungen in Personalunion: Fotografie, Sales, PR, Webdesign, Buchhaltung, … ach ja, und schreiben tun sie natürlich auch noch.
Höher, weiter, schneller…
Das Ganze bekam natürlich eine gewisse Eigendynamik.
Immer mehr Blogs, die alle immer perfekter werden.
Die Messlatte wurde immer höher gelegt. Und von wem? Von uns selber.
… und wozu? – Die Krise
Liegt es daran, dass die Fashion Week gerade vorüber ist, dieser Pflichttermin im Kalender aller Modeblogger? Oder daran, dass das schöne Sommerwetter gerade dazu einlädt, den Blog einfach mal ein paar Tage lang liegen zu lassen und sich mit anderen Dingen zu beschäftigen?
Auf jeden Fall häufen sich gerade in letzter Zeit die Artikel, in denen Blogger mit der derzeitigen Situation abrechnen:
Anmerkung vom Januar 2019: mittlerweile sind die meisten der Artikel oder gar ganzen Blogs nicht mehr verfügbar. Ich habe die Verlinkung entfernt, aber die Quelle angegeben und lasse die Zitate so stehen.
Vicky Wanka: „Fuck you, Instagram!“ [vickywanka.com, Artikel mittlerweile nicht mehr verfügar]
Vicky hat die Nase voll davon, dass Instagram einen so unglaublich hohen Stellenwert bekommen hat und die Followerzahl zum Dreh- und Angelpunkt für Kooperationen geworden ist.
Möchte ich mir treu bleiben oder eben auch einen dieser unzählig perfekten Instagram-Accounts führen, die doch igendwie alle gleich aussehen?
the3rdvoice: „Im a loser, Baby“ (Teil 1), „I’m a loser, Baby“ (Teil 2) & „I’m not a loser, Baby“ (Teil 3) [the3rdvoice.net, Blog mittlerweile offline]
In einer dreiteiligen Artikelreihe fragt sich Angela, ob sie eine Versagerin ist – weil sie das Bloggen zum Beruf gemacht hat und seit einiger Zeit die Aufträge so einbrechen, dass sie finanzielle Probleme bekommt und von dem einstigen Spaß beim Schreiben nur noch Druck übrig geblieben ist.
Warum zur Hölle denke ich seit Wochen nur noch in Followerzahlen – warum drückt das so auf meine Stimmung? Sollte es nicht um die Leser gehen, um die Kommentare, und nicht ständig nur um Zahlen, Zahlen, Zahlen? Ich erinnere mich an früher. Als ich nicht ständig google analytics checkte – sondern einfach schrieb. Weil ich Freude daran hatte, weil ich mich nicht jeden Tag wieder selber unter Druck setzen musste.
Fashionlunch: Ich bin widerlich.
Auch Tara-Louise schrieb kürzlich über die ewige Selbstdarstellung und das nagende Gefühl, niemals gut genug zu sein:
Ich bin so unglaublich widerlich, denn ich weiß, ich wollte immer dazugehören und habe es nie, und jetzt will ich nicht mehr. Ich kanns nicht mehr. Soziale Medien und das Bloggen und all der Druck und all das Schöne, was ich habe, wenn andere immer was Schöneres haben, all das macht mich krank. Ich guck in den Spiegel und kotze mich an, weil wieder alles, woran ich denken kann, der nächste Post oder das nächste Instagram-Bild sind.
Auch hier im Blog habe ich vor einiger Zeit ja über dieses chronische Darstellen einer scheinbar perfekten Welt gebloggt: Sind Blogger ehrlich? Oder: Die Inszenierung der Wirklichkeit
Die Kehrseite der Medaille: mit jedem neuen perfekten Foto, das wir an die Wände der Welt posten, kaschieren wir die Wirklichkeit wieder einen Deut mehr. Je häufiger wir die Perfektion zum Alltäglichen deklarieren, desto größer wird die Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem, wie es vermeintlich nur sein darf.
Wenn es in unserem Leben nicht so glamourös und clean aussieht wie bei den ganzen anderen Bloggern und Instagrammern, dann legen wir doch einfach noch einen Filter drüber und noch einen und… puh, geschafft. Es sieht gut aus!
Mittlerweile scheint also bei etlichen Bloggern der Punkt erreicht zu sein, wo sich etwas ändern wird, ändern muss. Weil man die ewige Perfektionierung nicht unendlich weitertreiben kann, ohne dass es gleichzeitig langweilig wird und man selber auch noch an dem ständigen Druck kaputtgeht.
Und die Moral von der Geschicht‘?
Bloggen ist ein zeitaufwändiges Hobby, ja. Eines, in dem man immer mehr machen kann, das unglaublich vielfältig ist.
Und eigentlich investieren wir diese Zeit und Energie ja auch verdammt gerne, weil es einfach Spaß macht und unglaublich viel zurückgibt.
Aber um mal einen Vergleich anzustellen: ein Sportler trainiert auch viel, um sich optimal auf Wettkämpfe vorzubereiten, um das Bestmögliche aus sich herauszuholen. Aber was im Sport selbstverständlich ist: irgendwann braucht der Körper dann auch seine Erholungsphase. Deswegen gibt es die Ruhetage im Trainingsplan und die entspanntere Zeit nach der Wettkampfsaison.
Wer zu viel trainiert, wird schlechter, nicht besser.

Das ist beim Bloggen nicht anders.
Das Internet hat keine Pause-Taste, keine Ruhetage. In dem Moment, in dem ich diesen Satz hier schreibe, gehen rings um den Globus Dutzende von neuen Blogeinträgen online. Während ich schlafe, werden Tausende neue Instagrambilder hochgeladen. In jeder Sekunde, die ich nicht auf meinen Bildschirm schaue, verpasse ich etwas. Und das ist okay so.
Das Internet hat keine Pause-Taste. Die müssen wir bei uns selber finden.
Was ich gelernt habe: mein Leben zu genießen. Auch mal fünfe gerade sein zu lassen und nicht immer überall 110% geben zu müssen, auch wenn ich das eigentlich gerne würde.
I can do anything, but not everything.
Ich lasse den Blog auch einfach mal Blog sein, das hält er schon aus. Drei Tage ohne neuen Post sind nicht ideal, aber so what. In der Zeit habe ich andere Dinge getan, gelebt.
Das, was uns glücklich macht und woran wir uns später erinnern, sind Momente. Nicht Follower-Zahlen.
